Dienstag, 20. Dezember 2016

Schatten der Weltgeschichte im persönlichen Erleben

Verstehen und Therapie traumatischer Erlebnisse am Beispiel der Geesthachter Kriegsgeschichte

 

Vielen Dank dem Förderkreis für ein Geesthachter Industriemuseum für diese Gelegenheit, ein Thema zur Sprache zu bringen, das während meiner Kindheit und Jugend in Schweigen gehüllt war und dem ich erst nach vielen Jahren allmählich auf die Spur gekommen bin.  


Ich bin zehn Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges in Geesthacht zur Welt gekommen. Die traumatischen Geschehnisse dieses Krieges habe ich also persönlich überhaupt nicht erlebt. Aber solange die Energie- und Hormonladung der Abwehrreaktion im Organismus nicht abgebaut wird, hält Trauma nicht nur Opfer, Täter und Zeugen in seinem Bann sondern auch deren Nachkommen.

  
Meine Eltern haben mich dazu erzogen, Fragen zu stellen, wenn ich etwas wissen will, Dinge in Frage zu stellen, wenn sie mich nicht überzeugen, und mich umfassend zu informieren, um fundierte Entscheidungen treffen zu können, schon als ich ganz klein war. Doch eine ganze Reihe von Fragen habe ich nicht gestellt. Aber das ist mir erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter aufgefallen, gröβtensteils erst nach dem Tode meiner Eltern, denn sie betrafen Bereiche, die aus meinem bewuβten Erleben ausgeschlossen waren, Bereiche, die im Schatten der Erlebnisse meiner Eltern im zweiten und im Falle meiner Groβeltern sogar in beiden Weltkriegen lagen. Diese Schatten hinterlieβen blinde Stellen in meinem Innern, die erst durch bewuβte Hinwendung im Rahmen meiner Arbeit mit dem Duggan/French Approach (DFA) zur Somatischen Mustererkennung ans Licht des Bewuβtseins kamen.  Ich glaube, viele Menschen haben solche blinden Stellen, die mit unverarbeiteten Traumareaktionen ihrer Vorfahren zu tun haben. Ich habe einen Abstand von 2000 km, beinah 30 Jahren und eine auf die Organisation von Erfahrung im Körper ausgerichtete Arbeit gebraucht, um zu verstehen, in welchem Ausmaβ das miese Gefühl in meinem Bauch etwas mit kollektiven Dynamiken zu tun hat, die stattfanden, bevor ich überhaupt auf der Welt war.


In einem Gespräch mit meinen Eltern in Barcelona, das einzige Mal an dem mein Vater mitkam, ein Jahr bevor er starb, habe ich das erste Mal Worte gefunden für ein Gefühl, das mich während meiner Kindheit und Jugend beinah erdrückte: ein tonnenschweres Schweigen. Keiner von beiden hatte auch nur die geringste Ahnung, wovon ich sprach. Wovon ich leider keine Ahnung hatte, war die groβe Liebe, die die beiden verband, und aus der ich hervorgegangen bin. Auf diesen Bildern kann man sie ganz klar sehen. Aber im Leben mit meinem Eltern und auch aus der Entfernung spürte ich hauptsächlich ihre Schwierigkeiten, all die Gefühle, die sie nicht verarbeitet sondern in den Geweben ihres Körpers zurückgehalten haben, und lebte in Reaktion darauf.

 Ich will Euch heute abend kein Familiendrama erzählen und auch nicht über all die schrecklichen Dinge reden, die in den beiden Weltkriegen und den Jahren dazwischen geschehen sind, sondern ich will das Material, das mir aus erster Hand bekannt ist, benutzen, um die Dynamik von Trauma zu erklären und Euch ein paar Werkzeuge zu geben, damit auch ihr eventuelle Rückbleibsel in Eurem Innern aufarbeiten könnt. Schwer ist das im Grunde genommen nicht. Man muβ nur Geduld haben und ein gewisses Maβ an emotionaler Ladung tolerieren können, ohne sich gegen Gefühle zu wehren oder sie auszuagieren. Das erfordert Disziplin. Natürlich braucht man auch Sensibilität, die Fähigkeit, den eigenen Körper zu spüren und ein gewisses Verständnis der Dynamiken von Trauma, posttraumatischem Stress und seinem Abbau. Das ist nicht einfach, aber wirklich schwierig ist es auch nicht, denn die eigentliche Gefahr ist ja schon vorüber. 
 

 Wenn Menschen mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert sind, greift der Organismus auf in Jahrmillionen erprobte Mechanismen zurück, um die Gefahr zu überleben, ganz automatisch, in Blitzesschnelle: in erster Linie mal Kampf oder Flucht. Wenn man die Gefahr überlebt hat, müssen in der Folge die im Organismus zurückgebliebenen Hormon- und Energieladungen abgebaut werden, um das innere Gleichgewicht wieder herzustellen. Wenn man dem Organismus Zeit dafür lässt, geschieht das ganz von selbst.
Allerdings kommt es dabei zu Bewegungen und Empfindungen, die meist als bedrohlich oder sonstwie unerwünscht empfunden werden: zum Beispiel zittert man, die Knie werden weich oder man bricht in Tränen aus. Und dann versucht man, diese natürlichen Erscheinungen, die die energetischen und chemischen Ladungen der Traumareaktionen im Körper abbauen würden, zu unterbinden, indem man sich zusammenreisst oder Medikamente nimmt oder sich in Arbeit, Fernsehen, Alkohol, Drogen oder Sex flüchtet. Oder man läβt sich nicht die nötige Zeit, weil die Gefahr weiter besteht, oder man es zumindest so wahrnimmt. So werden diese Mechanismen zur Gewohnheit, und der Organismus bleibt in einem Zustand einer ständig mehr oder weniger unterdrückten Erregung stecken, die auf die Dauer gesundheitliche Schäden hervorrufen kann und sich auch im Verhalten im Umgang mit anderen und einem selbst niederschlägt. Man wird aggressiv, unzugänglich oder süchtig zum Beispiel.  

Wenn weder Kampf noch Flucht möglich sind, kann es fürs Überleben nützlich sein, erstmal in Bewegungslosigkeit zu erstarren. Der Organismus erstarrt dann einen Augenblick bevor das Schlimmste geschieht. Wenn die Gefahr vorbei ist, müβte das Ultraschnelltiefgefrorene wieder auftauen, um das innere Gleichgewicht wiederzufinden. Als erstes taucht dann aber das Gefühl auf, das man in dem Moment hatte, als einem das Schlimmste gerade noch bevorstand. Und wenn man nicht darauf vorbereitet ist, das zuzulassen, machen die meisten Menschen ganz schnell wieder zu, denn es fühlt sich so an, als ob jetzt gleich etwas unabwendbar Schreckliches geschehen würde. Und so bleibt man erstarrt angesichts einer Gefahr, die lange vorbei ist, in der Reaktion, die die Illusion der Gefahr stets gegenwärtig hält.   

Wenn alles andere nichts hilft, bietet Totstellen noch eine Möglichkeit, der Gefahr zu entgehen. Man fällt in sich zusammen und unterwirft sich. Im Zustand der Ohnmacht oder Machtlosigkeit überläβt man das eigene Leben der als unüberwundbar empfundenen Macht und läβt mit sich geschehen. Wenn die Gefahr vorbei ist, muβ wiederum ein inneres Gleichgewicht gefunden werden. Das ist bei Erstarren und Totstellen allerdings um einiges schwieriger als bei Kampf oder Flucht, ist aber unabdinglich, denn sonst bleibt man in der Erstarrung oder Ohmacht stecken, in Reaktion auf eine Gefahr, die inzwischen vorbei ist. 

Wichtig ist, die Teile des Organismus, die in der Abwehrreaktion auf Trauma steckengeblieben sind, spüren lassen, was hier und jetzt wahr ist, der Boden unter den Füβen, der Stuhl unterm Hintern, die Bewegungen des Atmens, wer tatsächlich in der Nähe ist, am welchem Ort man ist, welcher Zeitpunkt es ist, usw., so konkret wie möglich. Bewegung hilft, am Besten mit Bewuβtsein der Abläufe. Wenn man den Kontext des ursprünglichen traumatischen Geschehen kennt, kann man Empfindungen verstehen, die bei näherer Betrachtung im Zusammenhang des gegenwärtigen Lebens keinen Sinn ergeben, jedenfalls nicht in der Heftigkeit, mit der sie auftauchen.

Wenn es einem gelingt, das innere Gleichgewicht nach einem traumatischen Erlebnis wieder herzustellen, dann kann man von der Erfahrung lernen. Das Verhalten wird komplexer und man entwickelt neue Fähigkeiten, die es einem ermöglichen, mit vielerlei sich verändernden Situation fertigzuwerden. Trauma hinterläβt also nicht unbedingt bleibende Schäden. Das tun vielmehr die meist unbewuβten, zur Gewohnheit gewordenen Abwehrreaktionen, mit denen unser Organismus automatisch reagiert hat, um uns zu schützen. Sie unterbrechen den Fluβ der Empfindungen im Körper und fixieren Hormon- und Energieladungen. Eine in der Traumareaktion verfangene Person kann sich nicht weiterentwickeln. Zumindest bestimmte Bereiche ihres Empfindens und Verhaltens bleiben fest verankert in dem Zeitpunkt, wo das Schlimmste des traumatischen Geschehens gerade noch bevorstand. 

Es gibt jetzt Studien, die belegen, dass Trauma genetisch in der männlichen Linie an die nächsten Generationen  weitergegeben wird. Das kann sowohl positiv als auch negativ sein. Wenn man also nach traumatischen Erfahrungen das innere Gleichgewicht wiederherstellt, wird eine gröβere Flexibilität und die Voraussetzungen für ein breiteres Verhaltenspektrum weitergegeben. Wenn man in der Reaktion auf Trauma steckenbleibt, werden Symptome, Starrheit, Machtlosigkeit, Tendenz zu Depressionen, Angstzuständen usw., weitergegeben.  Doch nicht nur auf genetischem Wege wird Trauma weitergegeben, sondern auch im täglichen Umgang miteinander, ganz besonders im Umgang zwischen Eltern und Kindern.



 Empfindungen informieren über innere Abläufe und über das Verhältnis zur Auβenwelt. Im ersten Lebensjahr hat das Nervensystem kleiner Kinder noch keine Strukturen für ein Ich-Bewuβtsein. Doch nehmen sie im eigenen Körper wahr, was innen und auβen abläuft, auch was die Erwachsenen im Umfeld sich bemühen zu unterdrücken. Sie haben keinerlei Möglichkeit zu verstehen, was sie empfinden, geschweigedenn sinnvoll damit umzugehen. Aber sie stellen sich ganz und gar auf die Wellenlänge ein, die sie durch Resonanz von den Erwachsenen, die mit ihnen umgehen, empfangen.

 Und so entwickelt sich das Nervensystem dementsprechend. Ein Mechanismus, der Kleinkindern von Anfang an offen steht, ist es Muskeln anzuspannen, um den Fluβ unangenehmer Gefühle zu unterbrechen. So entstehen gewohnheitsmäβige Haltemuster. Die Spannung muβ aufrecht erhalten werden, denn sonst kommen die unerwünschten Gefühle wieder zum Vorschein. Bewuβtsein beschränkt sich auf einen engen Pfad, während weite Bereiche im Dunkeln des Unbewuβten bleiben. Im Laufe der Jahre schwelen die Überbleibsel der Traumareaktion unterhalb der Bewuβtseinsschwelle vor sich hin, nehmen Einfluβ auf Wahrnehmungen und Entscheidungen und treten durch Symptome zutage, wie z. B. Herz-und Kreislaufstörungen, Verdauungsstörungen, Gelenkverschleiβ, chronische Entzündungen, die zu Vorreitern von Krebs werden können, Alzheimer, Parkinson, psychische Störungen wie Depressionen, Gewalttätigkeit, Suchtverhalten, und so weiter und so fort.

 Als Kind lag ich oft wach im Bett und konnte nicht schlafen, weil sich in meinem Innern alles zusammenzog, wrang und wand, und ich sah Gesichter und Körper von Unmengen von Leuten, die sich qualvoll wanden und wrangen. Das Bild von Munch ist harmlos im Vergeich der Bilder, die ich sah nachts im Bett. Das war so scheuβlich, dass ich nicht wagte, irgend jemandem davon zu erzählen. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir geschah, und bemühte mich so gut ich konnte, es zu verbergen, denn man hatte mir gesagt, meine Mutter könne keine Aufregung vertragen.
 
Information wird nicht nur durchs Nervensystem übertragen und gespeichert. In den letzten Jahren erkennen immer mehr Wissenschaftler die Bedeutung von Wasser auch in diesem Gebiet.
    
Durch die koherente Struktur des Wassers im Körper funktioniert dieser wie eine Antenne, die Signale aller Art, auch ganz schwache Signale, empfängt, sendet und auch speichert.


 Polarisierte Lichtmikroskopie wird dazu verwendet Kristalle zu untersuchen. Die Wassermoleküle in dieser Larve sind so organisiert, dass sie sich wie ein Kristal verhalten, flüssiges Kristal. Wenn es ein Mikroskop gäbe, das groβ genug wäre, um uns auf den Objektträger zu legen, könnte man auch von den physiologischen Prozessen in unserem Innern solche Bilder machen. Und eben diese flüssige kristalline Organisation macht das Wasser im Körper empfänglich für Resonanz. Darum ist übrigens auch Elektrosmog so schädlich.

So wird nicht nur auf genetischem Weg sondern auch durch Resonanz vieles auf den Organismus übertragen, sogar schon vor der Geburt auf den Embryo und später auf das Kleinkind, bevor die Strukturen, die ein Ichbewuβtsein ermöglichen, überhaupt entstehen. So auch die ganze energetische Ladung der Traumareaktionen einzelner Familienmitglieder, der ganzen Familie und selbst der allgemeinen Stimmung des Ortes, an dem man sich befindet. Dann werden diese Dinge sozusagen zu einem Teil der Identität.
Auf diese Weise habe ich von meinen Eltern und Groβeltern Empfindungen und Muster übernommen, gegen die ich mich gröβtenteils gewehrt habe, und sie durch meine Abwehr tief in mein Fleisch graviert habe. Zum einen habe ich versucht, die unangenehme Gefühlen auf die geringstmögliche Dimension zu reduzieren, in dem ich den inneren Raum in meinem Körper so eng wie möglich hielt. Zum anderen habe ich mich mächtig angestrengt, um über all das Unbegreifliche, Widerliche usw. hinwegzukommen und mich darüber hinwegzusetzen. Genau wie meine Eltern und Groβeltern. Mein Groβvater wurde manisch-depressiv dabei, oder bipolar, wie man das heute nennt. Er setzte sich hinweg über die Dinge in seinem Innern, die er nicht aushielt, und kannte dann keine Grenzen mehr. So gab er mehr Geld aus, als er hatte. Seine Schulden habe ich erst nach dem Tode meiner Eltern und dem Verkauf meines Elternhauses begleichen können. Mein Vater konnte nicht anders als sich unterwerfen, bis er erkannte, dass die Situation unhaltbar war, und es ihm gelang, sich über die in Jahren der Diktatur eingefleischte Folgsamkeit der Autorität gegenüber hinwegzusetzen.

All das nimmt automatisch im Körper Gestalt an, ohne Bewuβtsein der körperlichen Vorgänge. Ich hatte keine Ahnung, wieviel Wut ich in mir hatte, denn, ohne es zu wissen, verwand ich viel Energie darauf, sie im Schach zu halten. Doch ständig gab es irgend etwas, dies und jenes, was mich wütend machte. Aber das waren immer äuβere Umstände. Ich lernte erst viel später, dass die Wut in mir war und viel dazu beitrug, Umstände zu schaffen, die mich wütend machten. 

Als ich aufwuchs in Geesthacht, waren weite Waldgebiete eingezäunt. Da konnte man nicht hin. Soweit ich mich erinern kann, habe ich damals keinen Gedanken darauf verschwendet. Das war eben so. Es beschäftigte mich damals in keinster Weise, was auβer Wald sonst noch hinter diesen Zäunen war. Es war noch nicht mal so, dass ich nicht wüβte, dass dort ein Sprengstoffwerk gewesen war auf der einen Seite von Geesthacht und eine Pulverfabrik auf der anderen. Aber all das schien nichts mit mir zu tun zu haben.  Tatsächlich war es so, dass auch in meinem Geist und in meinem Empfinden Zäune waren, die mich daran hinderten, gewisse Bereiche zu betreten.  

Als ich mich 1995 darauf vorbereitete, mein erstes Buch zu schreiben, sollte ich für eine Übung in einem Seminar für kreatives Schreiben eine Erinnerung aus der Kindheit beschreiben. Dort kam auf einmal die Erinnerung an einen Sommerabend, als ich fünf Jahre alt war, an dem  Förstel Dietl und mein Vater mich in das Gelände der Dynamitfabrik mitnahmen. Während ich schrieb, liefen heiβe Tränen aus meinen Augen, und ich konnte das Geschriebene kaum sehen, aber selbst wenn ich gewollt hätte –und ich wollte nicht- hätte ich nicht aufhören können, bis ich alles niedergeschrieben hatte.  

Die Bedrohlichkeit der zerstörten Gebäude der Dynamitfabrik, die damals noch standen, lieferten den Hintergrund, die dramatische Eröffnung der Szene.  Was mich aber mein Leben lang begleitet hat und auf meinem Lebensweg geleitet hat, waren die Hirsche, die wir eine Weile später sahen, als wir die Ruinen hinter uns gelassen hatten. Das war so etwas wie ein Moment der Ewigkeit, ein Moment der Kommunion mit der Natur.

Als ich meinen Vater danach fragte, erinnerte auch er sich wieder an diesen Abend. Am nächsten Tag ging er ins Krankenhaus und in der Nacht darauf starb er. Aber nicht, ohne vorher nochmal bei mir vorbeizuschauen in Barcelona. Ich wachte mitten in der Nacht auf und hatte ein Gespräch mit ihm. In dem Moment hielt ich es für eine Probe für ein Gespräch, das ich bei meinem nächsten Besuch mit ihm haben wollte. Es fiel mir erst am nächsten Morgen auf, als meine Mutter mich anrief, um mir zu sagen, dass er gestorben war, dass ich ganz konkrete und teils unerwartete Antworten von ihm bekommen hatte.  Das Gespräch endete damit, dass ich sagte: „Ja wenn Du denn unbedingt willst, dann geh man. Ich komm schon zurecht.“ Es schien wichtig für ihn gewesen zu sein, dass ich mich an die Hirsche und die Dynamitfabrik erinnert hatte.
Diese Fahrt ins Gelände der Dynamitfabrik wurde zum Teil des Schluβwortes meines ersten Buches, das 1997 beim Verlag Icaria in Barcelona erschien. Mit beiden Füβen fest auf dem Boden, wäre der deutsche Titel, Con los pies en el suelo, Untertitel: Körperform und Weltanschauung, forma del cuerpo y visión del mundo.
In dem Buch beschreibe ich meine Arbeit, DFA Somatische Mustererkennung. 

Mit dem Schwerkraftfeld der Erde als objektiven Bezugsrahmen erforschen wir gemeinsam mit unseren Klienten die Formen und Strukturen,  durch die sie ihr Fühlen, Denken und Handeln im Körper organisieren. Dabei kommen Haltemuster zu Bewuβtsein, die den Körper in ein ungünstiges Verhältnis zur Schwerkraft bringen. Durch eine ganz spezifische manuelle Intervention zum einen und ein Erlernen der Körperwahrnehmung im Verhältnis zur Schwerkraft zum anderen wird es dann möglich, gewohnheitsmäβiges Halten zu lockern und eine günstigere Beziehung zur Schwerkraft herzustellen.
Lasst uns kurz ein biβchen mit Sitzen und Atmen experimentieren... (Auf diesem kleinen Umweg kannst Du es lesen, denn leider ist die Tonaufnahme meines Vortrags in Geesthacht nicht klar genug. Vielleicht ein anderes Mal...)

Eine günstige Beziehung zur Schwerkraft ist gut für die Gesundheit, sowohl physisch als auch psychisch. Ganz abgesehen davon, dass die körperlichen Funktionen ausgeglichener vonstatten gehen können, wenn unbewu
βte Haltemuster erkannt werden, kann man es lernen, sie zu lockern, und sie so komplexer gestalten und einen Freiraum gewinnen. So wird auch das Verhalten der Person ausgeglichener. Man kann diese Muster dann bis ins einzelne kennenlernen, sowohl kognitiv als auch sensorisch. Man kann also die Zusammenhänge erkennen, wie diese Formen sich im Leben wiederspiegeln und auswirken, im eigenen Verhalten und in den Überzeugungssystemen im Bezug auf die Welt, einen selbst und darauf, was man glaubt, im Leben erreichen zu können. Auch die körperlichen Empfindungen, die dazu gehören, kann man lernen zuzulassen, zu spüren und zu verstehen, ohne sich von dem Muster zu einer automatischen Reaktion hinreiβen zu lassen. Verhalten wird so reifer und freier. 

Aber das erfordert eine innere Arbeit, denn der Organismus miβt der gewohnheitsmäβigen Muskelspannung Überlebenswert bei. Solange man die Spannung aufrecht erhält, scheint das Überleben gesichert. Der Beweis dafür ist ja, dass man lebendig ist. Der Teil des Nervensystems, der die Spannung aufrechterhält, weiβ nichts vom Lauf der Zeit, er ist nicht intelligent. Er tut ganz einfach nur, was er tut. Denn auf der anderen Seite der Spannung ist etwas, was irgend wann einmal das Leben bedrohte. Und wenn man die Spannung lockert, kommen die Gefühle, die man damals unterdrückt hat, wieder an die Oberfläche. Wenn sie das tun, kann man unterscheiden, inwieweit sie tatsächlich etwas mit der gegenwärtigen Situation zu tun haben oder aber zur Vergangenheit gehören und eigentlich nur noch verstanden und losgelassen werden müssen, oder aber eine konkrete Handlung oder Stellungnahme erfordern. Auch ob sie einem selbst gehören oder von jemand anderem übernommen wurden, kann man lernen zu erkennen.

Ein Jahr nach dem Tod meines Vater nahm ich an einem Kurs für Traumaarbeit teil. Dabei erkannte ich eine Form in meinem Körper, die ich mit meiner Schwierigkeit mit der Hand zu schreiben in Verbindung brachte. Da stellte sich die Frage, was los war zu Hause, als ich schreiben lernte.  Das war, als mein Vater laut Gerichtsbestimmung die Leitung der inzwischen stark verschuldeten Firma übernahm und mein Groβvater zeitweilig in eine geschlossene Anstalt eingewiesen wurde. Meine Eltern hatten zwar versucht, all das von mir fern zu halten, was ihnen auch gelang in dem Sinne, dass ich von alledem erst viel später erfuhr, aber trotzdem hat sich die Spannung der ganzen Situation in meinem Körper niedergeschlagen. Wenn ich mit Situationen in Kontakt komme, die energetisch eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, reagiert er automatisch. Wenn ich die Reaktion spüre, wei
β ich, dass ich aufpassen muβ. Aber im Allgemeinen bin ich jetzt mit 61 um einiges gelenkiger, als ich mit 8 war.

Mein zweites Buches, das 2013 beim Verlag Urano ebenfalls in Barcelona veröffentlicht wurde, fängt dort an, wo das erste aufgehört hat. Inzwischen war ich Mitglied des Förderkreises für ein Geesthacher Industriemuseum geworden und habe so einige Irrtümer berichtigen können, die ich nie überprüft hatte. Das ist typisch für unverarbeitete Traumata. Man bleibt dabei, das die Dinge so sind, wie man sie sich einmal zurechtgelegt hat, ohne jemals zu überprüfen, ob das so überhaupt stimmt.

Zum Beispiel erwähne ich auch in diesem Buch noch die gesprengten Bunker im Wald, wo ich als Kind mit meinem Groβvater spazierenging und als Jugendliche mit Freunden Parties feierte. Ich habe erst bei einem Spaziergang des Förderkreises gelernt, dass es gar keine Bunker sondern Press- und Walzwerkstätte und ähnliches waren, wo das Schieβpulver hergestellt wurde, das so vielen Menschen das Leben gekostet hat.

Als dies Buch, das Mit Bäumen atmen heiβen sollte, so gut wie fertig war, und nur noch das Schluβwort fehlte, ging ich für eine Woche in die Pyrenäen, um im Bergwaldprojekt von Katalonien mitzuarbeiten. Während ich daran arbeitete, ein Dickicht zu lichten, war mir auf einmal ganz unbehaglich. Das Gefühl war mir zur Genüge bekannt. Da war etwas hinter mir und rechts und links von mir, etwas, das ich nicht sehen konnte.  Aber es fühlte sich höchst unangehm an. Es war genauso wie in Geesthacht, wenn es mir wie so oft nicht gelingen wollte, mich über eine ständig vorhandene, unterschwellige Übelkeit hinwegzusetzen oder sie zu betäuben. 

Später am selben Tag wurde ein Weg eröffnet, der mehrere tausend Jahre alt war, in den Jahren des Franco-Regimes aber vernachlässigt worden war und an dessen Wiederinstandsetzung das Projekt seit ein paar Jahren gearbeitet hatte. In der Eröffnungsrede wurde auch über die geschichtlichen Hintergründe des Weges gesprochen. „Dort drüben,“ sagte der Redner und zeigte auf den nächsten Berg, „waren die Nationalen mit ihren Maschinengewehren aus Deutschland. Man sagte im Dorf unten, dass der Bach oft rot ins Tal floss, mit dem Blut all derer, die hier oben erschossen wurden.“ 


Da wuβte ich, woher mein Unbehagen gekommen war. Da wuβte ich, was mir so unangenehm war hinter meinem Rücken und an meinen Seiten: Wenn die Waffen aus Deutschland kamen, kam bestimmt auch die Munition dorther. Es war also gut möglich und sogar wahrscheinlich, dass das Pulver dafür aus Geesthacht kam.  Im Grunde genommen sind wir alle empfänglich für diese subtilen –oder eigentlich gar nicht so subtilen- Energien, die an bestimmten Orten verweilen, weil die Wahrheit gewuβt werden will. Nur haben wir allgemein viel Energie darauf verwendet, uns dagegen abzuschirmen.    

Nachdem ich in Jahren von Therapie mit meiner Wut zurande gekommen war, fand ich darunter unerträgliche Mengen von Schuld und Scham. All diese Gefühle bezogen sich in erster Linie auf Persönliches im Familienbereich, führten aber bei näherer Betrachtung immer wieder zu den kollektiven Umständen, unter denen sie entstanden waren. 

So lernte ich, dass es mehrere Arten von Scham gibt:
-    Man schämt sich für etwas was man ist.  Das ist toxisch und stark gesundheitsschädlich. 

-    Oder man schämt sich für etwas, was man getan hat. Das ist gesund, denn es ermöglicht, Fehlverhalten zu erkennen und zu berichtigen und neue Verhaltensmöglichkeiten zu entwickeln. 

Als ich dann meine Scham näher untersuchte, stellte ich fest, das ich mich tatsächlich schämte für das, was ich bin, konnte dann aber nichts finden, was wirklich so schamvoll sei an meinem Wesen, das dem Ausmaβ meines Gefühls entsprechen könnte. Trotzdem lieβ das Gefühl nicht nach und blieb in voller Stärke vorhanden. Erst der Zusammenhang mit der Rolle Deutschlands im ersten und zweiten Weltkrieg ergab eine Entsprechung im Gröβenmaβ. Solange ich mich dagegen wehrte –denn ich war ja noch gar nicht am Leben gewesen damals-, blieb der Fluβ der Empfindungen gestaut. Sobald ich es aber zulieβ, konnte ich erkennen, das es sich um Dinge handelte, die Deutsche getan haben, nicht darum was sie sind und was ich bin als Deutsche. Als ich das verstand nicht nur hier im Kopf, sondern auch hier, im Körper und in meinem Herzen, kamen die Dinge wieder in den Fluβ und das Maβ der Scham reduzierte sich auf eine erträgliche Dimension.  

Wenn ich den mir zustehenden Teil an Schuld und Scham anerkenne, kann ich damit leben und mich dem deutschen Volk und meiner Stadt Geesthacht zugehörig fühlen. Es schafft mir kein biβchen Unbehagen mehr. Ganz im Gegenteil, es gibt mir Kraft und Stärke, denn so kann ich dazu beitragen, den Schaden, den wir angerichtet haben, wieder gut zu machen und dabei helfen -mir persönlich und dem Kollektiv aller Menschen-, von den begangenen Fehlern zu lernen. Es festigt meinen Entschluss, für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen und Lebewesen zu arbeiten, und ihn Tag für Tag in die Tat umzusetzen.   

So wurde das Unbehagen erträglicher, aber es hat Wurzeln, die noch viel tiefer reichen. Ich konnte sie wohl spüren, aber benennen konnte ich sie auch 2011 und selbst 2013 noch nicht.  

Dann fand ich ein Bild von meinem Groβvater in Uniform der Wehrmacht. Das hatte ich wohl vorher auch schon mal gesehen. Aber es hatte nie meine Aufmerksamkeit erregt. Doch diesmal fühlte ich mich verwirrt. Soviel ich wuβte, war mein Groβvater nicht im Krieg gewesen, doch hier war er in Uniform, der eines Offiziers, wie mein Mann erläuterte. Ich fragte dann meine Tante Lilo, die einzige in meiner Familie, die noch am Leben war und etwas darüber wissen konnte. „Ja“, sagte sie, „dein Groβvater war Offizier der Wache im Werk Düneberg. Ich kann mich noch an die Feste erinnern, die die Leute vom Werkschutz oft bei uns feierten“. 

Da wurde mir so einiges klar. Ich konnte mich nicht erinnern, das jemals darüber gesprochen wurde bei uns zu Hause. Auch nicht auf den Spaziergängen mit meinem Groβvater hinten am Moor, in Birke, Elbe, Kringel, oder wie immer die Gegend heiβt, dort wo die gesprengten Werkstätte sind, wo er zum Werkschutz eingesetzt gewesen war. Er hat nichts darüber gesagt –was hätte er einem kleinen Mädchen auch sagen sollen-, und ich habe auch nicht gefragt, was es mit diesen zerstörten Gebäuden auf sich hatte. Ich nehme an, ich habe gespürt, dass er nicht darüber sprechen konnte und seine Gefühle  genau wie ich mit einem Knoten im Magen im Schach hielt. Das ist typisch für posttraumatischen Stress.

Ich stolperte über sein Photo etwa zehn Jahre nach dem Tod meiner Mutter und dem Verkauf meines Elternhaus, etwa 2014. Die persönlichen Familiengeschichten hatte ich inzwischen mehr oder weniger aufgearbeitet. Ich fühlte mich viel besser, aber da war immer noch was rechts am Schädel, am Oberkiefer, im Gehörgang und in der Magengrube. Immer wenn ich mich damit beschäftigte, kam ich beim Nazi-Regime, den Weltkriegen und Geesthachts Industriegeschichte an.

So allmählich fiel mir auf, dass ich zwar im Lauf der Jahre voller Entrüstung und Bestürzung und später auch Schuld und Scham
an der Geesthachter Geschichte der Sprengstoffwerke interessiert gewesen war, aber stets aus sicherer Entfernung, mit einer gehörigen Portion von innerem Abstand

Da muβten blinde Stellen sein in meinem Innern, wie zum Beispiel die Beteiligung meines Groβvaters im Werkschutz, das Gebäude, wo ich jahrelang zur Schule gegangen bin, die Bottiche und Ziehwagen, deren Zahlungsbelege ich ins Altpapier gab, ohne zu merken, was ich da tat... Dinge, die ich eigentlich hätte wissen können, die ich irgend wo vielleicht sogar wuβte, aber von denen mir nicht klar war, dass ich sie wuβte. 

Seit Jahren spiele ich mit dem Gedanken, -wenn ich jemals Finanzierung dafür finde und Leute, die bereit sind daran teilzunehmen- dass ich gern eine Untersuchung durchführen würde, darüber, wie es sich auf die geistige und körperliche Gesundheit auswirkt, an der Herstellung von Dingen beteiligt zu sein, die das Leben anderer zerstören, seien es Arbeiter, die freiwillig oder gezwungenermaβen dafür ihre Arbeitskraft einsetzen, leitende Angestellte, Wachpersonal, Besitzer oder Aktionäre, sowie auch deren Kinder und Enkel. Aber es geschah immer mit dem Abstand von wissenschaftlichem Interesse und politischem Engagement für Friedensarbeit. Meinetwegen auch aus einem allgemein spirituellen Bedürfnis heraus. 


Auf einmal saβ ich mittendrin. Das eröffnete neue Perspektiven, sowohl nach innen als auch nach auβen. Ich las nun die heimatgeschichtlichen Bücher, die ich aus dem Nachlass meiner Eltern aus Geesthacht mitgenommen hatte, und zwar mit groβem Interesse, obwohl ich bisher nicht besonders daran interessiert gewesen war. In einem davon fand ich Bilder, auf denen auch mein Groβvater ist. Auch sah ich Dokumentar- und Spielfilme über den ersten und zweiten Weltkrieg mit anderen Augen als bisher. 

Ich konnte nun die Bipolarität meines Groβvaters als Folge von postraumatischem Stress erkennen. Im ersten Weltkrieg war er in Afrika gewesen. Auch darüber sprach er nicht.

Die Erfahrung meiner Arbeit hat mich gelehrt, dass, wenn Wahrheit erkannt wird, sich etwas öffnet im Körper. Die Wurzeln, die ich 2013 wohl spüren aber nicht benennen konnte, haben sich jetzt zu erkennen gegeben. In den letzten paar Jahren, seit ich an der kollektiven Dimension der traumatischen Geschichte in meinem eigenen Körper arbeite, löst sich allmählich eine tiefe Verspannung an der Innenseite meines Rückens rechts. Was dabei zum Vorschein kommt, ist schiere Angst, Terror, eine Angst, deren Heftigkeit im Zusammenhang mit meinem eigenen Leben keinen Sinn ergibt. Wenn ich sie aber in den kollektiven Zusammenhang der Geschehnisse unter dem Nazi-Regime und der beiden Weltkriege setze, reduziert sich die
Angst auf ein Maβ, dass den gegenwärtigen Gegebenheiten entspricht angesichts der rechtspopulistischen Bewegungen in der Welt. Das ist zwar weiterhin unangenehm, aber es ist nicht mehr so überwältigend, dass es handlungsunfähig macht.

Ich bin jetzt 61 und meine Gesundheit ist besser als je zuvor. Ich kann die Innenseite meines Rückens spüren und sie fühlt sich elastisch an. Auch die rechte Seite meines Schädels ist nicht mehr so eingedellt. Der seit Jahren ständig vorhandene unterschwellige Schmerz in meinen rechten Oberkiefer, der manchmal aufflammt, hat sich in ein vagues Gefühl verwandelt, wie von einer Spur, die langsam im Winde verweht.   Es fühlt sich so an, als ob die Teile meines Organismus, die damit beschäftigt waren, die Erinnerung an die unerträglichen Gefühle meiner Eltern und Groβeltern im Zusammenhang mit Krieg, Nazizeit und Herstellung von Kriegsmaterialien gegenwärtig zu erhalten, sich verstanden fühlten. Die Botschaft ist angekommen und der Bote kann ruhen.

Mein Verdauungssystem arbeitet daran, das Brauchbare an der ganzen Erfahrung zu assimilieren und den Rest zu kompaktieren und auszuscheiden. Das hilft mir bei meiner Arbeit und gleichzeitig hilft mir auch meine Arbeit bei der Verdauung von ziemlich schwer verdaulichem Material. Für mich ist es heilsam, meine Energie, meine Zeit und meine Arbeitskraft dafür einzusetzen, dabei mitzuhelfen, die Wunden zu heilen, die durch Gewalttätigkeit entstanden sind, wo und durch wen auch immer, und Mittel und Wege schaffe, die es uns ermöglichen von unseren Fehlern zu lernen.

 Ich muβ immer wieder darauf achten, mein Gewicht an den Boden abzugeben, denn sobald ich das nicht tue, zieht mein Muster nach oben. Dann wird mir immer ein biβchen schummerig im Kopf und ein biβchen übel im Magen. Das ist wie ein Wecker, der mich daran erinnert, zumindest einen kleinen Teil von dem, was sich gewohnheitsmäβig nach oben zieht, zum Boden hin ruhen zu lassen. Dann wird mein Kopf sofort wieder klarer und der Magen beruhigt sich.  

Der Körper vergi
βt nicht. Was man nicht erinnern will, wiederholt man. Und wenn man selbst es nicht wiederholt, tun es die Kinder oder Enkel oder jemand anderes tut einem an, was man selbst getan hat und nicht wahrhaben will. Ganz offensichtlich will die Wahrheit gewuβt und erinnert werden. Nur so können wir von unseren Fehlern lernen. Trauma erfordert eine Hinwendung zu den Reaktionen, durch die man sich gegen das Schlimmste geschützt hat. Denn solange man sie nicht abbaut, um das innere Gleichgewicht wieder herzustellen, bleibt man unter dem Einfluβ der traumatischen Situation und gibt sie an die folgenden Generationen weiter. Meines Erachtens ist das heutige Panorama weltweiter Gewalttätigkeit, wirtschaftlicher Schwierigkeiten, politischer Unstimmigkeiten und Rechtspopulismus in groβem Maβe auf die unbewuβte Wiederholung unverarbeiteter Abwehrreaktionen gegen die Traumata der beiden Weltkriege zurückzuführen. 

Es ist Sache eines jeden Einzelnen, auch und gerade nach einer kollektiv traumatischen Erfahrung,
dafür zu sorgen, das natürliche Gleichgewicht wiederherzustellen, indem man daran arbeitet, das eigene innere Gleichgewicht zu finden. Ein Geesthachter Industriemuseum würde meines Erachtens eine unschätzbare Hilfestellung dabei liefern, nicht nur für die geistige und körperliche Gesundheit der Geesthachter sondern für die Gesundheit der ganze Welt. 

Bei Traumaarbeit kommt es hauptsächlich darauf an, dass die Teile des Organismus, die in der Abwehrreaktion aufs Trauma stecken geblieben sind, spüren, was hier und jetzt wahr ist. Bewuβtsein der Orientierung des Körpers in Raum und der Bewegung im gegenwärtigen Moment ist dabei wichtig. Aber erst die Kenntnis der Zusammenhänge, unter denen gewisse Empfindungen entstanden sind, macht es möglich, sie zu verstehen, und Zugang zu den Bereichen des Organismus, die in der Traumareaktion gefangen sind, zu finden, ganz besonders bei Traumata, die aus vorangegangen Generationen übernommen wurden.

Wenn man den Kontext kennt, kann man sich vorstellen zum Beispiel, wie es gewesen sein muss, zwischen Düneberg und dem Krümmel zu leben, ganz besonders in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges unter Beschuβ von der anderen Elbeseite, während deutsche Soldaten in der Stadt Schützengräben aushoben. Die Heftigkeit eines Gefühls, das einen zu zerfetzen droht, macht in diesem Zusammenhang Sinn, denn damals bestand tatsächlich die Gefahr durch eine Megaexplosion zerfetzt zu werden. 

Ein Industriemuseum könnte ein Ort sein, der es ermöglicht, die traumatische Heftigkeit der Gefühle, die unter den damaligen Umständen entstanden, dort zu lassen, wo sie hingehört und wahres Mitgefühl zu entwickeln mit den Menschen, die sie an uns weitergegeben haben, weil die Aufgabe, die Traumareaktion abzubauen, über ihre Kräfte ging. Familienbande können so geheilt werden und die Liebe kann wieder flieβen, auch noch nach dem Tod. Und die Entwicklung der Menschheit kann weiter gehen, statt in einem ständigen Kreislauf der Gewalt stecken zu bleiben.
Entfernung in Zeit und Raum waren wohl notwendig für mich, um diese Dinge in Perspektive setzen zu können. Ausschlaggebend war aber sicherlich die tägliche Beschäftigung mit der Erkennung der Haltemuster, die persönliches Erleben im Körper organisieren, meiner eigenen sowohl als auch denen von hunderten von Klienten, die bei mir Hilfe gesucht und auch gefunden haben.

Ich bin zutiefst dankbar, für die Möglichkeiten, die sich mir durch meine Arbeit mit dem Duggan/French Approach zur Somatischen Mustererkennung eröffnen, und auch für diese Gelegenheit, Euch davon zu erzählen. Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit! 


Wenn ihr mögt, zeig ich Euch noch ein paar praktische Anwendungen für Stehen und Gehen.

Demnächst Auszug 2 aus Mit Bäumen Atmen in
www.dfa-europa.com (Bücher)
Zunächst siehe Auszug 1 ebenda.





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  1. Dieser Text war die Grundlage eines Vortrags, den ich in meiner Heimatstadt Geesthacht gehalten habe. Eine besondere Freude war für mich die Bestätigung zweier Teilnehmer, die beim Sitzen und Atmen und beim Stehen und Gehen ein besseres Verhältnis zur Schwerkraft und eine freiere Bewegung wahrnehmen konnten, obwohl wir nur eine ganz kurze Zeit darauf verwendeten, der gewohnten Form der Bewegung und Haltung und im Kontrast dazu einer an der Schwerkraft ausgerichteten Form nachzuspüren. Beide Herren waren etwa zehn bis fünfzehn Jahre jünger als mein Vater, d.h. sie waren im Krieg Kinder, und zwar noch jünger als meine Eltern. Beide hatten in der zweiten Lebenshälfte einen Zusammenbruch in der Folge des posttraumatischen Stresses im Zusammenhang mit ihren Kriegserlebnissen. Beide sahen sich gezwungen, die innere Arbeit zu leisten, um ihr inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. Nach getaner Arbeit haben beide an Empfindsamkeit gewonnen, so dass sie den eigenen Körper und ihr Verhältnis zur Umwelt klarer wahrnehmen konnten als Menschen, die diese Arbeit nicht getan haben.
    Es ist nicht nötig zu warten, bis man nicht mehr kann und zusammenbricht. Die Arbeit kann getan werden, solange man noch bei Kräften ist.
    Doch ist es nicht jedermanns Sache. Viele sagen, man soll die Vergangenheit ruhen lassen. Das ist wohl richtig, solange sie wirklich ruht. Wenn sie aber ständig durch Wiederholungen gegenwärtig gehalten wird, kann sie nicht ruhen. Vielmehr scheint es so, als ob sie immer lauter uns auffordert aufzupassen, um nicht ständig wieder die selben Fehler zu begehen.

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